Seit einigen Jahren werden Medikamente getestet, die eine bestehende HIV-Infektion unterdrücken können. Wirkstoffe, die sich als hilfreich erwiesen haben, sind Emtricitabin und Tenofovirdisproxil. Diese beiden Substanzen wirken antiretroviral, sie hemmen die normalen Aktivitäten des Virus, so dass sich der Virus nicht vermehren kann. Bislang sind die beiden Wirkstoffe einzeln und in verschiedenen Kombinationen erhältlich, sie werden bei der HIV-Therapie gemeinsam mit anderen Medikamenten eingesetzt. Sie können die Infektion nicht heilen, aber immerhin unterdrücken.
Aus diesem Wissen heraus wurde seit 2012 in verschiedenen Studien untersucht, ob die Wirkstoffe auch eine Ansteckung mit HIV verhindern können. Sie können, wenn auch nur bedingt. Als besonders hilfreich hat sich die Kombination der beiden Wirkstoffe erwiesen, so wie diese beispielsweise in dem Medikament Truvada enthalten ist.
Als AIDS wird die Erkrankung bezeichnet, die vom HI-Virus ausgelöst wird. Die Abkürzung HIV bezeichnet ebenfalls das Virus, die korrekte, ausführliche Bezeichnung kommt aus dem Englischen: Human Immunodeficiency Virus. Auf Deutsch bedeutet das in etwa "menschliches Immundefizit Virus". Der Virus bringt das Immunsystem so weit unter seine eigene Kontrolle, dass es de facto nicht mehr arbeitet. Das passiert nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil das HI-Virus die T-Helferzellen des Immunsystems befällt und zur Vermehrung nutzt. Die so gekaperten Zellen können nicht mehr ihre eigene Arbeit verrichten, das Immunsystem ist ausgehebelt.
Das Immunsystem selbst fährt zwar die Abwehr hoch, kann HIV aber nichts anhaben. Die Krankheit schreitet fort, wenn das Virus nicht medikamentös unterdrückt wird. Und nicht nur das: Es ist hochansteckend. Übertragen wird die Infektion über die Schleimhäute und Körperflüssigkeiten. Ungeschützter Geschlechtsverkehr, geteiltes Drogenbesteck und eine gemeinsam genutzte Zahnbürste sind genauso gefährlich wie der Kontakt mit infiziertem Blut oder wenn infizierte Mütter ihre (nicht infizierten) Kinder stillen.
Mit den genannten Wirkstoffen konnten bislang Ansteckungen beispielsweise zwischen Müttern und Stillkindern, aber auch zwischen Sexualpartnern erfolgreich verhindert werden. Studien haben gezeigt, dass das Medikament Truvada bei stillenden Müttern eine Ansteckung der Kinder sechs bis zwölf Monate (bis die Kinder abgestillt werden konnten) verhinderten. Zum Einsatz kam das Medikament da, wo kein sauberes Trinkwasser für die Zubereitung von gesundheitlich unbedenklicher Babynahrung vorhanden war.
Seit einiger Zeit darf ein Truvada-Generikum in mehreren Apotheken in deutschen Großstädten auf Rezept an HIV-negative Menschen ausgegeben werden. Das Generikum hat eine Zulassung für die PrEP erhalten und kann bezogen werden. Allerdings zahlen die Kassen bislang nicht, das Medikament muss aus eigener Tasche bestritten werden.
Als PrEP sind die Tabletten für alle geeignet, die einmal täglich stets zur gleichen Uhrzeit eine Tablette einnehmen können und das auch nicht vergessen. Da Tenofovir, so der Hauptwirkstoff abgekürzt, nur das Risiko einer Ansteckung mit HIV vermindert, aber nicht gegen andere sexuell übertragbare Krankheiten oder eine Schwangerschaft schützt, bleibt das Kondom als zusätzlicher Schutz für Menschen mit wechselnden Partnern unverzichtbar.
Die PrEP kann nur dann zuverlässig wirken, wenn die Tabletten eingenommen und vom Körper auch aufgenommen werden. Daher ist ein regelmäßiger HIV-Test trotz PrEP unbedingt nötig. Spätestens alle drei Monate sollten die Betroffenen den Test durchführen. Denn kommt es zu einer Infektion, solange die PrEP eingenommen wird, kann das zu einem resistenten Virus führen. Die beiden in Truvada und den zugelassenen Generika enthaltenen Wirkstoffe sind in der HIV-Therapie unersetzlich. Eine Resistent würde die Chancen einer Unterdrückung des Virus bei Neuinfektion vernichten.
Die PrEP ist nicht frei von Nebenwirkungen. In Studien konnte gezeigt werden, dass die Behandlung mit Truvada bei HIV-negativen Personen in einigen Fällen Kopfschmerzen, Übelkeit oder Schwindel auslöst. Allerdings waren diese Beschwerden vor allem im ersten Monat der Behandlung vorhanden, danach ebbten sie ab.
Truvada beeinträchtigt außerdem die Funktion der Nieren. Aber das ist nicht immer der Fall: Gesunde Personen werden davon nicht beeinträchtigt. Da aber im Normalfall niemand die eigenen Nierenfunktionen genau kennt und leichte Insuffizienzen eher unerkannt bleiben, muss die PrEP mit einem Arzt oder einer Ärztin abgesprochen werden. Die Nierenfunktionen müssen vor Beginn der Behandlung überprüft werden, während der laufenden Behandlung sollte wenigstens einmal jährlich eine Untersuchung stattfinden.
Die PrEP wirkt so, wie Truvada bei Infizierten arbeitet: Die enthaltenen Wirkstoffe unterdrücken einige vitale Funktionen des Virus, so dass sich das Virus nicht vermehren kann. Gelangt bei Sexualkontakt eine übersichtliche Anzahl der HI-Viren in den Körper, und können sich diese nicht vermehren, sterben sie ab. Die Lebensdauer von Viren ist nämlich begrenzt. Was eine Infektion so gefährlich macht, ist die normalerweise enorme Vermehrungsrate der Viren.
Trotzdem kann die PrEP nur eine Ansteckung verhindern. Bereits infizierte Personen sollten das Medikament auf keinen Fall einnehmen! Denn es kann die Infektion nicht heilen. Vielmehr würde es eine Resistenz der Viren verursachen und eine spätere Behandlung der Infektion unmöglich machen.
Bei regelmäßiger Anwendung ist die PrEP sehr effektiv und kann eine Ansteckung zuverlässig verhindern. Ob eine Anwendung einige Stunden oder Tage vor geplanten Sexualkontakten wirksam ist, konnte noch nicht abschließend geklärt werden. Da die PrEP noch sehr kostenintensiv ist, würde für Menschen mit eher seltenen Sexualkontakten eine gezielte Einnahme Sinn machen. Bislang ist aber nur die regelmäßige, tägliche Einnahme des Präparats als zuverlässig belegt. Daher muss von einer kurzfristigen Einnahme abgeraten werden.
Seit 2014 liefen Studien in den USA und anderen Ländern, die das Risiko der Ansteckung beim Geschlechtsverkehr untersuchen sollten. Überwiegend Männer aus der MSM Gruppe, die als die Bevölkerungsgruppe mit dem höchsten Ansteckungsrisiko gilt, wurde getestet. Die Männer sollten, abhängig vom Aufbau der Studie, entweder täglich oder wenigstens viermal wöchentlich jeden Tag eine Tablette Truvada einnehmen.
Die Studien zeigten, dass das Medikament einen Ansteckung zu 86 % verhindern konnte. Aber nur dann, wenn das Medikament regelmäßig eingenommen wurde. Bei einer unregelmäßigen Einnahme an etwa vier Tagen wöchentlich (und regelmäßigem Sexualkontakt) sank die Infektionsgefahr um weniger als 50 %. Das war so nicht intendiert, die Einnahmen wurden meist einfach vergessen, wie im Nachhinein vielfach angegeben wurde. PrEP ist nur sinnvoll, wenn die nötige Disziplin vorhanden ist.
Es sind also inzwischen recht viele und vor allem unterschiedliche Studien bekannt, deren Aussagekraft über die Wirksamkeit einer prophylaktischen Einnahme von Truvada sorgfältig evaluiert werden muss. Untersucht wurde in anderen Studien auch, ob die Wirkstoffe lokal an den Schleimhäuten eingesetzt werden können.
Da das HI-Virus nicht den ganzen Körper auf einmal befällt, sondern beim Sexualkontakt lokal über die Schleimhäute in den Körper eindringt und sich erst dann vermehrt, schien ein lokaler Einsatz der Wirkstoffe Emtricitabin und Tenofovirdisproxil sinnvoll. Tatsächlich wurden Tampons, Gels und Vaginalringe für den Gebrauch entwickelt.
Die in die Vagina einzuführenden und vor sowie nach dem Sexualkontakt anzuwendenden Mittel erwiesen sich aber in der Praxis als etwas zu komplex, um wirklich zu einem halbwegs normalen und entspannten Sexualleben beitragen zu können. Selbiges Problem ergab sich bei Gels für die Anwendung im Enddarm - die erste Generation der Gels trocknete die empfindlichen Schleimhautzellen soweit aus, dass die Ansteckungsgefahr stieg statt zu sinken. Diese Probleme sind inzwischen behoben, die Studien dazu laufen noch.
Viel interessanter war und ist die Möglichkeit, den ganzen Körper durch die Wirkstoffe zu schützen. Das ist durch die regelmäßige Einnahme von Tabletten möglich, aber auch mit in die Muskulatur eingebrachten Injektionen. Letzteres ist nicht so gut für den Heimgebrauch geeignet.
HIV-infizierte Menschen können nicht geheilt werden. Sie müssen bis ans Ende ihres Lebens verschiedene Medikamente einnehmen, die die Infektion unterdrücken. Das verursacht hohe Kosten für die privaten und gesetzlichen Krankenkassen und belastet das Gesundheitssystem enorm. Die Kosten einer Behandlung bei bestehender Infektion werden derzeit auf etwa 17.000 Euro je Patient und Jahr beziffert. Demgegenüber steht eine PrEP mit Kosten von knapp 6.600 Euro jährlich je Patient, zuverlässige tägliche Einnahme und Verhinderung der Infektion vorausgesetzt.
Bei den hier zugrunde gelegten Zahlen wird mit dem derzeitigen Originalpreis von Truvada gerechnet, der liegt bei 18,22 Euro je Tablette, also je Tag. Wenn der Preis auch nur um 40 % sinken würde, dann würden sich auch die jährlichen Kosten der PrEP entsprechend anpassen.
Besser noch: Ein Kölner Apotheker namens Erik Tenberken hat mit Hexal verhandelt und es geschafft, dass der Pharma-Hersteller sein eigenes Truvada-Generikum für 51 Euro je 28-Tage-Packung (Blister mit 28 Tabletten) bereitstellt. Tenberken baut derzeit die Zusammenarbeit mit einzelnen Apotheken in verschiedenen deutschen Großstädten aus, so dass das Präparat für einen sehr viel geringeren Preis verfügbar sein kann. Das Generikum von Hexal ist in Deutschland wirklich nur für die PrEP zugelassen und kann nicht für die HIV-Therapie eingesetzt werden.
Zwischen 2018 und 2030, so die Studien der Aidshilfe Deutschland, können allein in Deutschland mit der PrEP bis zu 9.000 Neuinfektionen verhindert werden. Das sind 750 Infektionen jährlich. Die Anzahl der jährlichen Neuinfektionen liegt derzeit etwas über den Zahlen der 1990er Jahre, ist aber konstant. Es ist also wahrscheinlich, dass eine flächendeckend leicht zugängliche PrEP tatsächlich so hohe Erfolge verzeichnen könnte.